Neulich ist mir eine Formulierung in einer Stellenanzeige besonders aufgefallen. Im letzten Abschnitt betonten sie, dass sie sehr an Bewerbungen vielfältiger Kandidaten und Kandidatinnen interessiert seien. Da bin ich kleben geblieben. Denn: Was ist überhaupt ein*e vielfältige Bewerber*in? Impliziert das, dass es nicht-vielfältige Bewerber*innen gibt und wenn ja, wie sehen sie – weit über das optische hinausgehend – eigentlich aus? Was ist überhaupt ein vielfältiges Team?
Vielfältige Bewerber*innen gesucht
Ich lese in dieser Wortkonstellation folgendes: Wir verstehen uns selbst eher als homogenes Team und möchten hier Vielfalt reinbringen. Das ist im Prinzip ein guter Gedanke. Leider finde ich ihn nicht gut umgesetzt. Warum? Mir ist es zu einschichtig gedacht und zu unklar, wer damit gemeint ist. Was muss ich mitbringen, um den Wunsch, der in dem Adjektiv „vielfältig“ steckt, erfüllen zu können? Wer entscheidet darüber, wie vielfältig jemand ist? Wenn ich mich von dem Adjektiv angesprochen fühlen sollte, wäre ich in diesem Team vielleicht gar das Token, also die Person, die dann symbolisch für die „Vielfalt“ dort stehen muss? Oder bin ich als Mensch auch dann willkommen, wenn meine Bewerbungsunterlagen keinen „vielfältigen“ Eindruck erwecken?
Von der unsichtbaren Norm
Letztlich weiß ich nicht, wie es wirklich um das Team bestellt ist, das hinter der Stellenanzeige steckt. Und wie deren Intentionen und Vorgehensweisen waren. Und klar, andere Menschen reagieren auf diese Ausschreibung vielleicht ganz anders als ich. Ich für meinen Teil will jedenfalls nicht definieren oder darüber entscheiden, wer ein*e vielfältig*e Bewerber*in oder Mitarbeiter*in ist. Für mich sind zunächst alle Menschen vielfältig. Denn wenn ich davon ausgehe, dass es vielfältige oder weniger vielfältige Menschen gibt, gebe ich eine unsichtbare Norm weiter. Davon will ich weg.
Zwölf weiße Männer – ein vielfältiges Team?
Denise Young Smith, die ehemalige VP Diversity & Inclusion von Apple, musste für ein Zitat viel Kritik einstecken.
Sie sagte: “There can be 12 white, blue-eyed, blond men in a room and they’re going to be diverse, too, because they’re going to bring a different life experience and life perspective to the conversation.” (übersetzt: „Es können zwölf weiße, blauäugige, blonde Männer gemeinsam in einem Raum sein und auch sie sind vielfältig, weil sie unterschiedliche Lebenserfahrungen und Lebensperspektiven in die Unterhaltung einbringen“).
Ich sehe das genauso. Auch diese zwölf weißen blauäugigen Männer sind vielfältig. Smith hat dieses Zitat später noch einmal erklärt und richtig gestellt, dass es in der D&I Arbeit aber hauptsächlich darum gehe, eine Arbeitsumgebung für alle zu schaffen: Frauen, People of Color, LGBT und unterrepräsentierte Minderheiten. Klar muss also sein, dass von allen Menschen einige viel mehr Privilegien haben als andere. Zwölf weiße heterosexuelle, körperlich und psychisch gesunde Männer aus Akademikerfamilien haben die meisten Privilegien in dieser Gesellschaft. Und damit sollten in einem vielfältigen Team alle reflektiert und bedacht umgehen. Denn für Privilegien kann niemand etwas. Nichts zu tun ist aber auch eine Haltung.
Diversity ist ein Fakt, Inclusion eine Haltung, für die ich mich entscheide
Bei der ehrlichen Reflexion innerhalb deines Teams helfen diese Fragen:
- Wie sehr kann ich meine eigene Vielfalt in mein bereits bestehendes Team einbringen?
- Lege ich auf der Arbeit meine Maske an oder kann ich wirklich in all meinen Facetten ich selbst sein?
- Werden meine Ideen gehört und ausreichend gewertschätzt?
- Wie bewusst gehen wir mit unbewussten Vorurteilen und Privilegien um?
All das umfasst Inclusion bzw. Inklusion. Und dann ist Vielfalt vor allem eine Haltung, mit der ich mir selbst und anderen begegne. Damit bereite ich einen guten Boden für ein inklusives Miteinander und ein vielfältiges Team.
Positive Diskriminierung und Chancengleichheit
Gerade bei der Frage, wie sehr Vielfalt gelebt werden kann, müssen wir über Barrieren sprechen, die viele Menschen erleben. Wir müssen über Chancengleichheit sprechen, denn vielfach werden auf dem Bewerber*innenmarkt oder bei Beförderungen People of Color, Schwarze Menschen, Frauen mit Kopftuch, generell Frauen*, behinderte Menschen, Menschen über 50 – die Liste ist lang – diskriminiert. Dagegen eine positive Diskriminierung zu setzen ist nötig. Denn wenn wir uns Unternehmen, Verwaltungen und Organisationen in Deutschland anschauen, sind wir weit davon entfernt, dass diese die in der Bevölkerung vorhandene Vielfalt widerspiegeln.
- So gibt es in den Führungsetagen von Unternehmen in Deutschland mehr Männer*, die Thomas heißen, als Frauen*
- Und die Chef*innen in der Berliner Verwaltung sind zu 97 Prozent weiß. Es gibt dort in der Führungsebene nur drei Prozent People of Color und Schwarze Menschen. Sie geben an, rassistisch diskriminiert zu werden.
Vorreiter*innen needed
Und genau deshalb sollten Unternehmen auch in jeder Stellenanzeige betonen, dass sie den Boden für Vielfalt bereiten. Gelungen hätte ich es in diesem Beispiel gefunden, wenn es in besagtem letzten Abschnitt stärker um die Werte gegangen wäre. Und nicht um eine neue Anforderung an den oder die Bewerber*in.
Zum Beispiel so: „Wir setzen uns für Diversity, Inklusion und Chancengleichheit ein und glauben fest daran, dass eine Vielfalt an Erfahrungen, Perspektiven und Hintergründen zu besseren Arbeitsergebnissen für alle führt. Über Bewerbungen von allen qualifizierten Kandidat*innen unabhängig von Geschlecht, Alter, sexueller Orientierung, Behinderung, Religion, ethnischer oder sozialer Herkunft freuen wir uns sehr.“