Seit den vergangenen, weltweiten Black Lives Matter Protesten haben viele Unternehmen in Deutschland verstärkt begonnen, sich mit Rassismus innerhalb ihrer Strukturen und Teams zu beschäftigen. Ein nötiger und wichtiger Schritt hin zu mehr Chancengerechtigkeit und gesünderen Unternehmenskulturen für Schwarze Menschen und People of Color. Um ein anti-rassistisches Unternehmen zu werden, braucht es jedoch mehr als ein einziges Training.
Rassistische Vorfälle am Arbeitsplatz bleiben oft unter dem Radar. Werden sie gemeldet, bleiben nicht selten die Konsequenzen aus. Die Zahlen der Antidiskriminierungsstelle des Bundes zu Rassismus am Arbeitsplatz sind deutlich: Innerhalb eines Jahres, von 2018 auf 2019, sind die Beschwerden in Deutschland um zehn Prozent gestiegen: von 1.070 Beschwerden im Jahr 2018 auf 1.176 Beschwerden im Jahr 2019. Das ist einerseits auch ein gutes Zeichen, denn es zeigt, dass BIPOC ihre Rechte wahrnehmen und rassistische Vorkommnisse immer öfter auch zur Sprache bringen. Andererseits ist das ein Alarmzeichen, das Unternehmen zum Umdenken bringen sollte. Denn die Dunkelziffer liege vermutlich weit höher, so die Antidiskriminierungsstelle im Jahresbericht.
Rassismus ist ein System
Rassismus im Unternehmen kann sich durch einzelne Fälle offener rassistischer Diskriminierung zeigen. Er muss aber vor allem als ein System verstanden werden, innerhalb dessen rassistische Diskriminierung passiert. Dieses System macht vor Organisationen natürlich nicht halt und ist also Teil der Organisationsstruktur, bis aktiv anti-rassistische Maßnahmen ergriffen werden. Die Soziologin Vanessa Thompson verweist in einem Interview mit der Taz zum Thema institutioneller Rassismus bei der Polizei auf wichtige Reflexionsfragen: “Die Frage ist nicht: Sind wir rassistisch? Sie muss lauten: Wie können wir verhindern, dass wir Rassismus reproduzieren?”
Das sind die fünf Voraussetzungen:
1. Anerkennen, dass Rassismus im Unternehmen ein gesellschaftliches Machtverhältnis ist
Rassismus bzw. weiße Vorherrschaft beschreibt das gesellschaftliche Machtverhältnis, an dessen Spitze in der Hierarchie weiße Menschen stehen und Schwarze Menschen, indigene Menschen und Menschen of Color weniger Wert zugeschrieben bekommen, weniger Anerkennung für gleiche Arbeit erhalten und weniger Zugänge, z.B. für Führungspositionen bei gleichen Qualifikationen haben. Die Wurzel liegen in der Kolonialzeit. Das System der weißen Vorherrschaft ist bis heute wirkmächtig und wir alle bewegen uns innerhalb dieses Systems. Ähnlich wie im System Patriarchat geht es nicht darum, Männer bzw. weiße Menschen zu verteufeln, sondern darum, die Wirkmächtigkeit dieser Systeme deutlich werden zu lassen.
So hat z.B. eine Studie der Citizens for Europe im Jahr 2018 herausgefunden, dass die öffentlichen Einrichtungen Berlins sind sehr homogen besetzt sind und 97 Prozent der befragten Führungskräfte weiß sind. Nur 3 Prozent der Befragten waren People of Colour oder Schwarze Menschen. Von diesen gaben in der Studie alle an, rassistische Diskriminierung zu erleben.
Im Fortune 500, dem Index, der die umsatzstärksten Unternehmen der USA auflistet, waren seit 1955, von 1.800 CEO nur 19 Schwarze Menschen CEOs. Unter diesem CEOs sind zwei Schwarze Frauen.
Rassismus als Struktur verhindert also, dass Menschen of Color und Schwarze Menschen als Führungskräfte aufsteigen – sofern es überhaupt BIPOC im Unternehmen gibt. Intersektionalität macht deutlich, dass es für Frauen of Color und Schwarze Frauen nochmal schwieriger ist. Rassismus verhindert vor allem auch, dass BIPOC überhaupt in die Arbeitswelt einsteigen können, so dass das weiße Teams oft unter sich bleiben. Viele dieser Beförderungsprozesse und Personalentscheidungen laufen unbewusst ab.
Wie sich Rassismus zeigt
Rassismus kann sich auch z.B. in Inaktivität oder Nicht-Beachten von gesellschaftlich wichtigen Ereignissen am Arbeitsplatz zeigen. Als der Terroranschlag von Hanau und der Anschlag in Halle stattfand oder George Floyd ermordet wurde, waren das einschneidende und belastende Ereignisse für BIPOC. In den allerwenigsten Unternehmen gab es jedoch entsprechende Empathie dafür oder ein psychosoziales Angebot. Rassismus kann sich auch darin äußern, dass die Produkte des Unternehmens, z.B. Kosmetika und Hautpflege sich nicht an Menschen mit schwarzer Hautfarbe richten. Die Ausprägungen sind vielfältig. Das anzuerkennen bedeutet, dass ein interner Reflexionsprozess stattfinden kann. Es bedeutet auch, sich als Organisation klar zu diesem rassismuskritischen Prozess zu bekennen. Hier sollte die Führungsebene mutig vorangehen und ein ehrliches Commitment formulieren, um den Rahmen zu schaffen.
2. Über Rassismus und seine historischen Wurzeln bilden
Im Rahmen des Reflexionsprozesses ist es wichtig, dass Menschen sich mit Rassismus und ihren Privilegien auseinandersetzen. Hier können Trainings und die eigene intensive Auseinandersetzung hilfreich sein, z.B. durch Bücher, Videos und Podcasts. Hier habe ich wichtige Links und Bücher zusammengestellt.
Jule Bönkost, die zu kritischem Weißsein forscht und berät, hat in einem Artikel den wichtigen Punkt der unterschiedlichen Bedürfnisse weißer Mitarbeiter*innen und derer mit Rassismuserfahrung betont: “Weiße Mitarbeitende verfügen nicht immer über ein Problembewusstsein, dafür aber über mehr Macht und weiße Privilegien. People of Color können im Unternehmen Rassismus erleben und stoßen häufig rassismuskritische Veränderungsprozesse an. Eine solche Öffnung geht für sie aber oftmals mit einer höheren Belastung einher, weil beispielsweise die Bedürfnisse der weißen Mitarbeitenden zu viel Raum einnehmen oder diese gehäuft unbewusst Rassismus reproduzieren.” Das bedeutet auch, dass es für den positiven Wandel neben Anti-Rassismus-Trainings auch Budget für Empowerment-Trainings oder spezielle Mentoring und Coaching-Angebote für BIPOC geben muss.
3. Untersuchen, wie sich Rassismus im Unternehmen konkret äußert
Anti-Rassismus-Trainings sollten immer in einen konkreten Fahrplan eingebettet sein. Eine inspirierende Keynote oder ein Vortrag sind ein guter erster Schritt. Rassismus existiert, vielfach unbewusst, in den Einstellungen, Normen und in stereotypem Denken. Diese Ebene kann gut mit Hilfe von Trainings bearbeitet werden.
Folgen dann aber keine konkreten Handlungen auf der strukturellen Ebene, werden sich viele von Rassismus betroffene Mitarbeiter*innen fragen: Und nun? Neben Trainings und Empowerment braucht es für eine anti-rassistische Unternehmenskultur also auch einen Fahrplan, wie Entscheidungsprozesse, Policies und Erwartungen chancengerechter gestaltet werden können. Welche Bereiche besonders bearbeitet werden müssen, kann gut auf der Basis von qualitativen oder quantitativen Daten analysiert werden. Die Leitfrage hierfür lautet: Wo äußert sich bei uns Rassismus? Im Zwischenmenschlichen, im HR, im Marketing, in den Beförderungen? Besonders anfällig für rassistische Strukturen sind Einstellungsprozesse und Beförderungen. Der Leitfaden für diskriminierungsfreie Einstellungsverfahren gibt hierfür erste Tipps. Wie bei jedem Thema, bei dem das interne Wissen noch nicht da ist: Das benötigt Unterstützung von Berater*innen.
4. Eine Strategie entwickeln und umsetzen
Wenn sich das Führungsteam positioniert, Budget freigegeben und eine datenbasierte Analyse die wichtigsten Fokusthemen auf dem Weg zu einem antirassistischen Unternehmen freigelegt hat, geht es an die Strategie. Um diese auch erfolgreich umzusetzen, benötigt es mindestens eine DEI Führungskraft, der*die diese Strategie verantwortet und an den*die CEO berichtet.
5. Ein Growth Mindset
Der Weg zu einem anti-rassistischen Unternehmen ist ein Prozess. In diesem Prozess sollte Platz für Emotionen, Bedürfnisse und gemeinsames Wachstum sein. Unternehmen können das durch ihre Unternehmenskultur unterstützen, indem sie produktive und respektvolle Unterhaltungen führen, ggf. durch geschulte externe Anti-Rassismus Trainer*innen unterstützt. Sie sollten Foren für den Austausch schaffen, z.B. in Netzwerken für BIPOC und eine Allyship-Kultur pflegen, in der Verbündete diskriminierter Gruppen lernen, sich für diese einzusetzen.