Diversity & Inclusion funktioniert nur, wenn dein Unternehmen in allen Unternehmensbereichen Maßnahmen entwickelt, sie testet, durchführt, wieder verwirft oder für gut befindet, um dann wieder von neuem zu beginnen. Kurzum: Es ist ein Prozess und dieser zudem recht umfangreich. Daher ist mein Tipp recht einfach: Fang zunächst bei dir an. Ich erkläre dir, wie.
Kürzlich habe ich mein Bücherregal neu sortiert. Mir fiel auf, dass ein Großteil aller Bücher, die ich besitze, von weißen cisgender Männern geschrieben sind. Schon seit einiger Zeit achte ich darauf, das Ungleichgewicht der Perspektiven in meinem Kopf weniger wirkmächtig sein zu lassen und kaufe daher Bücher, die von Autor*innen mit anderen Perspektiven geschrieben sind. Es mag wie ein kleines Detail wirken und doch: es steckt so viel mehr dahinter.
Diversity Management bedeutet nämlich zu allererst, dich selbst und deine Perspektive und Weltsicht zu erkennen und im nächsten Schritt zu hinterfragen.
1. Schritt: Um beim Beispiel des Bücherregals zu bleiben. Schau doch mal in deinem Regal nach, wenn du eines hast.
- Von welchen Autor*innen habe ich Bücher gelesen und warum?
- Welche Autor*innen aus welchen sozialen Gruppen (z.B. in Bezug auf soziale oder ethnische Herkunft, Alter, Gender…) fehlen? Warum, denkst du, ist das so?
- Welche Perspektiven erscheinen dir glaubwürdiger und warum?
Das kannst du auch auf dein engeres (Arbeits-)Umfeld übertragen:
- Wer sind meine Kolleg*innen, Freund*innen und Mitarbeiter*innen und aus welchen sozialen Gruppen stammen sie? Haben sie zum Beispiel alle ein Studium abgeschlossen und sind alle im Alter von Ende 20 bis Ende 30?
- Welche sozialen Gruppen kommen in meinem Unternehmen gar nicht vor und warum? (zum Beispiel Menschen über 50, Schwarze Menschen, Menschen, die sich als nicht-binär verorten, Menschen mit Behinderung… diese Eigenidentitäten überschneiden sich natürlich auch)
- Kenne ich selbst eine Person, die ich anders empfinde? Warum empfinde ich sie eigentlich anders?
Diversity Management Maßnahmen im Unternehmen einzuführen bedeutet, tiefgreifende Veränderungen anzustoßen.
Deine bislang erlernten Muster und Sichtweisen zu hinterfragen. Daher sollest du auch, wenn du dich zum Beispiel als Geschäftsführer*in, Mitarbeiter*in im Bereich HR, People/ Culture oder Diversity Manager*in beginnst, mit Strategien zu beschäftigen, auch beginnen, dich mit deiner Perspektive zu beschäftigen und dabei kritisch zu bleiben. Werde dir vor allem deiner Rolle bewusst. Wenn du diese Veränderung in dir selbst beginnen kannst, kannst du sie auch in deinem Unternehmen beginnen und erfolgreich umsetzen. Denn es bedeutet: Deine Brillengläser immer wieder putzen und offen bleiben zu können. Das Fernziel Inclusion bzw. das Ziel ein inklusives Unternehmen zu werden, funktioniert nur, wenn alle Mitarbeiter*innen individuell auch an sich und ihren (un-)bewussten Vorurteilen arbeiten. Und da kannst du ein Vorbild sein.
2. Schritt: Achtung vor dem In-Group Bias entwickeln
Sei dir vor allem über den Affinity Bias, der auch In-Group Bias genannt wird, bewusst. Diese Funktion in deinem Gehirn führt dazu, deine eigene soziale Gruppe besser erkennen zu können und den anderen Gruppen gegenüber zu bevorzugen. Oder anders ausgedrückt: Gleich und gleich gesellt sich gern.
Wen wir als sympathisch empfinden, ist sozialpsychologisch beeinflusst davon, ob wir diese Person als Teil unserer In-Group wahrnehmen oder ob wir sie als Teil einer Out-Group wahrnehmen. Menschen in unserer In-Group vertrauen wir mehr und empfinden auch mehr Empathie für sie – und das hat gravierende Auswirkungen auf unser Sozialverhalten (vgl. Choudhoury 2017). Sich für Diversität zu öffnen, bedeutet Unsicherheit und Angst aushalten zu können: Wir haben intuitiv weniger Vertrauen, können nicht automatisch auf gemeinsame Werte zurückgreifen und das ist anstrengend. Ein ganz bekannter In-/Out-Group Moment ist zum Beispiel, wenn du im Urlaub in einem Restaurant sitzt. Du weißt nicht genau, auf welche Sprache ihr euch einigen könnt. Wie die Essrituale in diesem Land so sind. Ob und wie viel Trinkgeld du geben kannst. Und vermutlich wirst du als Teil einer Out-Group, als Tourist*in, wahrgenommen.
Fühlst du dich oft als Teil der Out-Group?
Wenn du selbst von diskriminierenden Strukturen betroffen bist, brauchst du dafür vermutlich gar nicht mal außerhalb Deutschlands zu sein: du verstehst wahrscheinlich intuitiv das Gefühl, als Teil einer Out-Group gelabelt zu werden. Zum Beispiel die einzige cisgender Frau auf einer Konferenz zu sein, die hauptsächlich von cisgender Männern besucht wird. Der einzige schwarze Mann in einer Gruppe weißer Menschen. Die einzige Person mit sichtbarer Behinderung in einer Gruppe nicht-behinderter Menschen.
Die HR Vorständin von Siemens, Janina Kugel beschreibt es zum Beispiel in einem Interview mit dem Südwestdeutschen Rundfunk so:
„Ich konnte mich nie verstecken. Wo ich verkehre, bin ich eine der wenigen Frauen. Ich bin immer einer der wenigen Menschen mit einer anderen Hautfarbe. Und das macht etwas mit einem. Nicht unbedingt negativ. Sie können auch eine Stärke daraus gewinnen.“
Falls du diese Ausschlüsse noch nicht so gut nachvollziehen kannst: Kein Grund zur Panik. Es bedeutet lediglich, dass du jetzt genauer hinterfragen darfst, warum dir diese Diskriminierungsformen so unbekannt vorkommen. Da sind wir dann bei Schritt 3.
3. Schritt: Beginne, dein Umfeld zu beobachten und zu hinterfragen.
Falls du also auf wenig eigene Ausgrenzungserfahrung in Deutschland zurück greifen kannst, beobachte dein Umfeld besonders intensiv. Wahrscheinlich kannst du dann zum Beispiel auch in deinem Arbeitsumfeld beobachten, dass sich Gruppen, wenn sie sich intuitiv finden sollen, nach Ähnlichkeiten sortieren. Ich beobachte das sehr stark zum Beispiel dann, wenn die Unternehmenssprache in einem Unternehmen in Deutschland Englisch ist: die deutschsprachigen Mitarbeiter*innen bilden eine Gruppe, die englischsprachigen Muttersprachler eine weitere, die englischsprachigen nicht-Muttersprachler*innen gruppieren sich dann nach ihren Nationalitäten usw.
Diese sozialpsychologischen Prozesse laufen sehr unbewusst und automatisiert ab.
Deine Hauptaufgabe im Diversity Management ist es also, dir deine Biases immer wieder sehr bewusst zu machen – um sie dann in der Strategie zu berücksichtigen und Diversity Management Maßnahmen zu entwickeln, die sie durchbrechen. Dazu musst du sie aber zunächst einmal bei dir wahrgenommen haben.